1990-1996 studium an der akademie der bildenden künste wien

1996 diplom für malerei und grafik mit auszeichnung

2003 promotion in kunstwissenschaft, akademie der bildenden künste wien

 

zum werk / um- und aufwertungskunst

Regina Zachhalmel arbeitet konzeptuell mit klassischen Kunstgattungen wie Zeichnung, Malerei und Druckgrafik. Die Künstlerin geht in ihren Arbeiten von der Wahrnehmung der Alltags- und Bild-Kultur aus, wobei zentrale Kategorien des Kunstwerks wie Motiv, Materialität, Formprozess, Wert, Erscheinungs- und Deutungsbild neu verhandelt werden. Dabei entstehen Versuchskonstellationen, die überkommene Traditionen in Produktion und Rezeption bewusst infrage stellen. 

Die Materialität spielt dabei ein wesentliche Rolle. Sei es in der Sichtbarmachtung von banaler Struktur, in der Infragestellung von Zweck und Verwendung oder aber auch in der ungewohnten Kombination von Stofflichkeit, die über die konventionellen Möglichkeiten der Malerei hinaus geht. Fäden kommen wie Striche oder Linien ins Spiel, Strukturen und Muster werden in neue Zusammenhänge gesetzt. Die Zuordnung zu dem, was man landläufig mit „Textilkunst“ verbindet, greift jedoch in vielfacher Hinsicht zu kurz. Handwerkliche Technikbeherrschung und damit verbundene geschlechtsspezifische Konnotationen stehen dabei auch nicht im Vordergrund.

Viel mehr geht es um die Umwertung von Dingen, um Zuwendung und Aufmerksamkeit, um Neudefinition und Wertverschiebung.

In unterschiedlichen Medienformaten, die meist in mehrteiligen Serien bzw. Blöcken angelegt sind, werden Versatzstücke des banalen Alltags aber auch der Kunst- und Kulturgeschichte zu einem weit reichenden assoziativen Netz verknüpft. In einem künstlerischen Aufwertungsprozess wird den meist billig produzierten Ausgangsmaterialien ein eigenständiger Werkcharakter geschaffen, das Objekt wird ästhetisch auf- und umgewertet. Als Initiatoren für diese Transformation dienen beispielsweise Massenprodukte wie Kleidungsstücke, Stofftaschen mit bunten Mustern, Dekorstoffe aber auch gängige Darstellungssujets und ihr zugrundeliegendes Gestaltungskonzept. Dabei werden beispielsweise Kinderhüte sorgsam zertrennt, in Einzelteile zerlegt, bemalt, umgeformt und neu gefügt. Das Produkt bekommt seine Aufmerksamkeit und Wertschätzung zurück.

Diese konzept- und handlungsorientierte Kunstpraxis hinterfragt gültige Wert- und Werkbegriffe indem sie die Produktions-, Rezeptionsbedingungen im Alltag als auch in der Kunst gleichermaßen in Frage stellt.

 

über ko-autorenschaft in regina zachhalmels werk

Seit Giorgio Vasari 1550 mit dem Begriff maniera die künstlerische Handschrift als Diskussionsgegenstand in die Kunstliteratur eingeführt hat, wurde dieser Topos immer wieder aufgegriffen, wenn es um den individuellen Ausdruck als Qualitätsmerkmal im Sinne eines unverwechselbaren Stils ging. Heute, Dekaden nachdem Minimal-Art und Konzeptkunst das Zurücktreten jeglichen persönlichen Ausdrucks hinter das Werk proklamiert haben, die Appropriation Art fundamentale künstlerische Kategorien wie Originalität und Kreativität     problematisiert hat und das Thema eindeutig zuordenbarer Autorenschaft seit einiger Zeit durch kollektive Kunstpraktiken bewusst unterwandert wird, stellen sich die Fragen zur künstlerischen Handschrift freilich differenzierter dar. Das Interesse an der Thematik per se ist jedoch nach wie vor ungebrochen.

In Bezug auf das Werk von Regina Zachhalmel drängen sich dahingehende Überlegungen geradezu auf, bewegt sich die Künstlerin mit ihrer Herangehensweise doch im Spannungsfeld zwischen individueller formalästhetischer Setzung und dem Anarbeiten gegen diese. Zachhalmels Zeichnungen, Druckgrafiken, Textilcollagen und -objekte entstehen stets in einer Art Dialog beziehungsweise in Interaktion mit den Wesensmerkmalen von Ausgangsmaterial, das in gestalterischer Hinsicht bereits vorgeprägt ist. So arbeitet die Künstlerin für viele ihrer Serien und Werkblöcke mit textiler Massenware wie etwa einfärbigen, gemusterten oder mit Motiven versehenen Dekorstoffen, Kleidungsstücken oder Stofftaschen. Sie trennt Nähte auf, zerlegt die Gesamtstruktur des Ausgangsmaterials in Einzelteile, um diese anschließend neu zu arrangieren und durch partielle oder vollständige Übermalung in neue ästhetische Formgebilde zu überführen. Ein Transformationsprozess wie dieser ist stets gelenkt durch die Optik, Materialität und Verarbeitung des Verwendeten. Diese Beschaffenheitsmerkmale können sich der künstlerischen Intention anschmiegen, sich ihr aber auch widersetzen. Gerade den Widerstand, den das Ausgangsmaterial bietet, begreift die Künstlerin für sich als besonders reizvolle Herausforderung. Beispielgebend hierfür sind etwa Zeichnungen, die sie linkshändig oder mit einer selbstgebaute Zeichenvorrichtung schuf, um nicht in den Duktus der persönlichen Handschrift und Routine zu fallen.  

Für ihre mehrteilige Arbeit „Behütete Kindheit“ hat Regina Zachhalmel Kinderhüte in ihre „anatomischen“ Bestandteile zerlegt, diese mit schwarzer Acrylfarbe eingefärbt und auf Karton aufkaschiert. Dieser Prozess mündete in eine Reihe von ornamental und zeichenhaft-abstrakt anmutende Collagen. Fäden, die sich beim Auftrennen gelöst haben, wirken hier wie feine, gezeichnete Linien. Andere ihrer auf Textilien aufbauenden Arbeiten lassen sich deutlich mit einem erweiterten Verständnis von Malerei – einer Malerei, die ins Objekthafte expandiert – assoziieren. In Werkgruppen wie „Rotation xx“, „Die zweite Chance“, „Kleine Pariserin“ oder „Margarethes Albtraum“ drängen einzelne Kompositionselemente vermittels Faltungen, Um- und Ausstülpungen aus der Bildfläche heraus. Formalästhetisch lassen diese Arbeiten entfernt an verschiedene Tendenzen der geometrischen Abstraktion denken. Doch weder diese noch die Affinität für Textilien als vermeintliches Kennzeichen einer „typisch weiblichen“ Kunstpraxis stellen für Zachhalmel nennenswerte Anknüpfungspunkte dar. Ihr primäres Interesse gilt der Transformation von Material durch Form, von Form durch Material und den dadurch angestoßenen Werteverschiebungen. Billig produziertes Gebrauchsgut dient der Künstlerin als Grundlage einer Kunstproduktion, in der sich die Differenz zwischen Alltags- und Hochkultur auflöst und damit unterschiedliche ästhetische Normvorstellungen ebenso wie tradierte Vorstellungen von industrieller, handwerklicher und künstlerischer Produktion infrage gestellt und gleichermaßen nivelliert werden.

Auch mit Fundstücken künstlerischer Natur ist Zachhalmel in der Vergangenheit in Dialog getreten. Beispielhaft hierfür ist ihre achtzehnteilige Serie von großformatigen Buntstiftzeichnungen, für die ein günstig erworbenes Blumenstillleben des Wiener Malers Camillo Brockelmann (1883–1963) den Anstoß gab. Die zeichnerische Auseinandersetzung mit dem Ölgemälde stellt sich als höchst analytischer Vorgang dar. Die Künstlerin greift den Pinselduktus des Malers teils in ihrer Art und Weise der Schraffur auf. In einzelnen Blättern der Serie widmet sie sich Details der Vorlage, zoomt diese übernatürlich groß heran, während sie andere Blätter in kleinformatige Bildkader teilt, um durch Wiederholung das Variationspotenzial eines dem Ausgangsbild entnommenen Motivs en miniature zu erproben. Als „Mentorenbilder“ hat sie die Serie betitelt und verweist damit durchwegs ironisch auf ein Gegenüber, das auf das eigene künstlerische Tun Einfluss nimmt, auch wenn – oder gerade weil – das „Vorbild“ nicht unbedingt dem eigenen ästhetischen Empfinden entspricht. Wie in ihren Arbeiten, die unter Rückgriff auf Textilien entstehen, basieren auch die Zeichnungen auf Methoden des Sezierens und Rearrangierens, stellen sich auch hier Fragen nach dem zeitlichen Davor und Danach.

Bleibt noch zu erwähnen, dass Regina Zachhalmel bei aller konzeptuellen Herangehensweise immer auch dem Unkontrollierbaren und Zufälligen Raum lässt. Beide Aspekte sind ebenso Ko-Autoren ihres Werks wie all jene, die das Ausgangsmaterial für das Werk der Künstlerin geschaffen haben.

Manisha Jothady, Juli 2022